Interview: Wir wollten den rauhen, dreckigen Sound, sagen The Aggrolites

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Faulenzen & Relaxen? Die Musiker aus Kalifornien zucken nur mit den Schultern. Solche Begriffe existieren nicht im aggrolitischen Wortschatz. Die Konzertbühnen sind ihre Heimat: Jährlich spielen die Aggrolites rund 150 Shows. Auf der aktuellen Europa-Tour standen in nur 26 Tage 22 Shows in acht verschiedenen Länder auf dem Programm. 15 Konzerte ohne Off-Day!

Neun Jahre lang spielen die Aggrolites nun schon den „Dirty Reggae“ – ihre explosive Mischung aus Funk, Soul & einer grossen Portion jamaikanischer Musik aus den 60ger / frühen 70ger Jahren. Der Vergleich zu Toots and the Maytals ist nicht von der Hand zu weisen. Am Schmutzigen Donnerstag an der Fasnacht 2011 besuchten die Aggrolites die legendäre Luzerner Bühne des Sedels – Jesse Wagner, Captain und Sänger, war bestens gelaunt als er Bekanntschaft machte mit meinem prallgefüllten Fragebogen.

Seit Ende Februar habt ihr euer neues Album ‚Rugged Road‘ draussen. Ihr klingt ruhiger, spielt weniger den harten Aggrolites-Style als auf dem Vorgänger. Gibt’s einen speziellen Grund für den Richtungswechsel?

Wir wollten einfach nicht immer und immer wieder dasselbe machen. Auf den letzten zwei Alben hatte es viele Stücke mit Gesang, jetzt gibt’s wieder mehr Instrumentals wie auf unserem Debüt ‚Dirty Reggae‘. Wir hatten einfach Lust ein paar neue Sachen auszuprobieren. Auf „Rugged Road“ befindet sich zum Beispiel ‚Trial and Error‘, das stark an Junior Murvin’s „Police and Thieves“ erinnert, ein anderes Stück klingt wie Boris Gardiner. Es gibt viele Sachen, die wir noch gemacht haben – aber natürlich bleiben wir immer noch dem späten 60ger, frühen 70ger Skinhead-Reggae treu. „Rugged Road“ ist eine Widmung an den alten jamaikanischen Reggae.

Eure letzten Alben wurde über Hellcat (ein Punklabel, das vom Rancid-Frontmann Tim Armstrong betrieben wird) veröffentlicht, das neue Album über Young Cub Records. Wieso habt ihr euch von Hellcat getrennt und kam die Verbindung zu Young Cub zustande?

Wir hatten einen 3-Alben-Deal, den wir erfüllt haben und wir sind immer noch sehr zufrieden mit der Zusammenarbeit mit Hellcat. Aber wir wollten schon immer ein paar 45-Singles rausbringen und dass war mit Hellcat nicht möglich. Als wir mit Slighty Stoopid auf US-Tour waren, sind wir in Kontakt gekommen mit Craig Welsch (Soundengineer von Rugged Road). Er meinte, er habe ein vollanaloges Aufnahme-Studio in Boston und ein Record-Label, das sich freuen würde ein paar Aggrolites 7“-Singles zu releasen. Wir wollten einfach schon immer Vinyl rausbringen, jetzt hatten wir endlich die Möglichkeit dazu.

Unter welchen Umständen wurde das neue Album aufgenommen?

Wir sind grosse Fans und stark beinflusst von Bands wie den Upsetters und dem alten jamaikanischen Sound. Die Musiker damals habens ähnlich gemacht – sie kamen morgens ins Studio – show up at work – und nahmen den ganzen Tag Riddim für Riddim auf. Deshalb gibt soviele simple Songs mit nur zwei Akkorden, viele grossartige Instrumentals stammen aus dieser Ärä. We just wanted to do the same thing, show up, clear minded, get in the studio and start being creative altogether. Wir sind sehr glücklich, dass wir auf analogen Equipment aufnehmen konnten – Old-School – es wurde alles so gemacht wie damals in den 60iger Jahren.

Also wurde das gesamte ‚Rugged Road‘ Album in nur ein oder zwei Tagen aufgenommen?

Ja, ungefähr. Wir haben zwei Tage aufgenommen und dann etwa zwei Tage abgemischt. Einen Tag spielten wir einige Overdubs ein. Da Roger (Rivas) sowohl Piano und Orgel spielt, musste er einige Solo’s zusätzlich aufnehmen. Percussion wurde natürlich nachträglich hinzugefügt, sowie einige Gitarren-Parts und die Vocals.
Und wie schon erwähnt: Nichts war geplant, keine Songs, keine Lyrics waren geschrieben als wir ins Studio gingen. It was crazy….from scratch, you know, nothing was prewritten…(lacht)

That really sounds crazy. Aber manchmal, wenn man spontan etwas macht, dann denkt man am nächsten Tag – oh hier oder da hätte ich vorher mehr überlegen sollen. Gibt’s etwas was du jetzt gerne ändern möchtest an der Platte?

Wie schon gesagt, dass macht eben die ganze Magie aus. Ein Off-Key oder ein falscher Ton gibt einem Stück manchmal das gewisse Etwas, den einzigartigen Charakter. Genau diesen Aspekt liebte ich immer an den alten Stücken der Upsetters oder auch an amerikanischen Platten von Stax Records. Bei Booker T aus New Orleans hatte es immer diese Chicken-Scratch-Gitarrenparts und kleine Verspieler – Off Key here and there, die den Stücken soviel Charakter verleihen. Kleine Fehler geben der Musik sooft Persönlichkeit, die den sauberen, perfekten Aufnahmen fehlt. Obwohl daran ist auch nichts auszusetzen, ich respektiere viele Bands, die ihre Songs sauber ausproduzieren und viel Zeit investieren. Aber wir wollten halt den rauhen, dreckigen Sound und bedauern deshalb nichts auf der Platte. You can’t have regrets, when you want that gritty sound. You go to the studio, lay it down and that’s that.

Was eigentlich ein bisschen widersprüchlich ist an eurem Konzept: Die Platte ist zwar sehr spontan aufgenommen worden, doch eure Shows spielt ihr nach einer genauen Setliste. Wär es für euch nicht spannend Freestyle-Shows zu spielen?

Freestyle-Shows? Du meinst während der Show neue Riddims entwickeln und live spielen? Daran hab ich nie gedacht, könnte wirklich sehr cool sein. Wäre sicher ein spannendes Konzert, einfach nur zum Schauen wohin es führt. Ich weiss Parliament Funkadelics haben solche Shows gespielt. Vielleicht sollte man’s mal ausprobieren.

Beschäftigst du dich noch stark mit dem alten jamaikanischen Sound? Suchst du noch nach unentdeckten Ska und Reggae-Platten aus den 60ger Jahren?

Oh yeah. Ich sag das schon seit Jahren: Du kannst der Rest deines Lebens nur noch Reggae aus dieser Epoche hören und du wirst am Ende deines Lebens niemals alles entdeckt haben. Du kannst dich nur mit 1969-Reggae beschäftigen und wirst immer neue Sachen finden, die in diesem einzelnen Jahr produziert wurden. Damals wurde soviel aufgenommen und es gibt soviele verschiedene Versions. Der gleiche Track einmal mit Vocals, als Organ-Cut und so weiter. Es gibt soviel zu entdecken, man hat nie ausgelernt.

Bist du selbst denn ein grosser 7“-Collector dieser alten Stücke?

Ich habe eine ziemlich grosse Soul-Collection. Aber ich bin auf keinen Fall ein grosser Reggae-Sammler wenn ich’s vergleiche mit einigen meiner Kollegen. Ich habe viele Freunde, die viel Geld ausgeben für eine 45-Original-Pressung und sich extrem intensiv mit Skinhead-Reggae beschäftigen, viel mehr als ich das tue. Ich bin ein grosser Reggae-Fan und habe das Glück diese Musik spielen zu können und davon sogar zu leben. Ich habe dem Reggae wirklich viel zu verdanken.

Für die letzten paar Fragen möchte ich gerne zurück gehen in die Zeit als die Aggrolites gegründet wurden. Kannst du uns erzählen wie alles angefangen hat?

Ich und Roger sind die einzigen Mitglieder der Urbesetzung, die heute noch dabei sind. Damals waren noch Brian Dixon, Corey Horn, Jay Bonner und eben Roger und ich selbst dabei. Es gibt Tausend Geschichten über unsere Gründung – Backing Band this and that – aber tatsächlich war es so, dass wir einfach ein Haufen junger Leute in unseren 20iger Jahren waren, die alle dem Reggae verfallen sind. So findet man sich zusammen, so kamen die Aggrolites zusammen. Ein paar Jungs von der einen Band ruften ein paar Jungs einer anderen Band an und gründen die Aggrolites.

Damals habt ihr auch als Backing-Band gespielt für Prince Buster, Derrick Morgan oder Scotty. Wie war die Reaktion dieser jamaikanischen Legenden auf euren Sound?

Das war wirklich eine grosse Sache. Dazu muss man aber sagen, es waren nicht einfach die Aggrolites, die als Backing-Band gespielt hat. Die Aggrolites backten Prince Buster und Derrick Morgan, bei den anderen Shows waren aber noch eine Handvoll andere Musiker beteiligt – vielleicht 15, 20 Leute von Bands wie See Spot, Hepcat. Es war ein grosses Team von Musiker aus LA. Immer wenn jamaikanische Sänger nach LA kamen und eine Backing-Band brauchten, wurden Leute aus diesem Poll angerufen und wer auch immer gerade Zeit hatte, spielte dann mit.

Dann gibt es diese Geschichte, dass die Ska-Legende Derrick Morgan fasziniert war von eurem Sound und sogar eine gemeinsame LP aufgenommen werden sollte, nur scheiterte es dann trotzdem.

Nun, unser Gitarrist Brian Dixon kann die Geschichte am besten erzählen, denn er war damals in Kontakt mit Derrick Morgan. Auf jeden Fall war es so, dass zuerst Phyllis Dillon in LA war und Brain mit ihr aufnehmen wollte. Kurz darauf war Derrick Morgan in LA und Brain offenbarte ihm die selbe Idee….nun nagel mich nicht fest, ich weiss nicht ganz genau wies gelaufen ist und ich möchte Brain Story nicht falsch erzählen. Aber was ich weiss: Es wurde eine Gruppe zusammengestellt – nicht nur die Aggrolites, wieder zirka 15 Musiker aus verschiedenen Bands, und wir schrieben einige Stücke und wir waren auch im Studio und haben aufgenommen. Das Ding ist nur, anstatt von Derrick Morgan’s Stimme ist auf Rohaufnahmen Chris Murray zu hören. Ich weiss nicht, ob Derrick Morgan unsere Demo’s gehört hat oder nicht, aber er hatte eine Unterhaltung mit Brain und er wollte wohl eher modernen Sound aufnehmen. Den Original-Ska hat er halt schon hinter sich, er wollte nicht zu unserem Old-School-Sound singen, lieber etwas Zeitgemässes aufnehmen.

Diese LP mit den Layouts für Derrick Morgan liegt also immer noch irgendwo in den Archiven?

Somewhere out there…(lacht)…it’s a mystery.

Ein anderes Thema zu welchem es viele Gerüchte und Geschichten gibt, ist die Aufnahmesession von ‚Dirty Reggae‘. Angeblich habt ihr euer Debüt-Album in nur einer Nacht eingespielt.

Well, I mean it wasn’t necessarily done overnight – in one night – a lot of it was…Aber wir wussten ja gar nicht, dass wir ein Album aufnehmen damals. Wir hatten einfach die Möglichkeit gratis in einem Studio aufzunehmen. Unser Gitarrist Brain war damals angestellt in einem Studio in Hollywood, dass früher Motown gehörte und auch Michael Jackson aufnahm. Nach seinem regulären Arbeitstag sind wir manchmal dort abgehangen – we do overnight parties. Er rufte ein paar Leute an. Wir kamen um 10 Uhr nachts, stellten die Instrumente auf und jammten bis 7 Uhr morgens. Wir hatten viele solche Sessions, so entstanden die Aggrolites. Wir nahmen dort Songs auf bevor wir überhaupt Shows spielten. Wir wollten einfach ins Studio gehen und Songs aufnehmen einfach so zum Spass. Und aus diesen Overnight-Sessions wurde unser erstes Album.

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