Interview: Ziggi Recado „Meine Grosseltern hielten Dancehall für Teufelsmusik“

Call the number below at Wednesday 11.00“ schreibt mir Ziggi’s Managerin per Mail. Als ich dann zum fraglichen Zeitpunkt die 11-stellige Telefonnummer wähle, befindet sich Ziggi gerade noch in einem Interview mit einer grösseren TV-Station und berichtet den holländischen Zuschauer von seinem brandneuen Album. Ich werde vertröstet auf den Nachmittag. Zwei Stunden und zwei Kaffees später krieg ich dann den Reggae-Sänger endlich an die Strippe.

Ziggi Recado ist ein Senkrechtstarter. Schon mit seinem Debütalbum (So Much Reasons / 2006) bekam er europaweite Aufmerksamkeit, war 2007 Tour-Support bei der „Diversity“-Tour von Gentleman, nahm Combinations auf mit Elephant Man, Turbulence, Tippa Irie, Cecile oder Anthony B und spielte drei Jahre in Folge (!)  am Summerjam-Festival in Köln. Heute ist Ziggi einer der erfolgreichsten Reggae-Acts auf dem europäischen Festland – mit Ambitionen auch den Rest der Welt in Angriff zu nehmen.

httpv://www.youtube.com/watch?v=dRcoDUc0Enw

[Reggaenews.ch] Letzten Freitag erschien dein neues Album. Du befindest dich zurzeit in der Promo-Phase. Wie sieht dein Tagesablauf aus in den letzten paar Tagen?
[Ziggi] Ich habe wirklich sehr viel Pressearbeit momentan, ich kann die Interviews gar nicht mehr zählen. Es gab Tage, da musste ich Interviews geben vom Morgen bis Fünf Uhr Nachmittags und abends war ich dann noch zu Besuch in Radioshows hier in Holland. Allein diese Woche waren es bereits über 20 Interviews.

In der Reggae-Szene in Europa bist du sehr erfolgreich, wie sieht’s aber aus in Holland. Wirst du gefeatured in den Mainstream-Medien und laufen deine Songs in den grösseren Radio’s?
Die Zeitungen berichten über mich, vorallem jetzt mit der neuen CD. Bei den Mainstream-Radio’s ist es nach wie vor schwierig, die interessieren sich halt nur für eine gewisse Art von Musik und geben Reggae kaum eine Plattform. Nur ein paar wenige Leute aus dieser Branche spielen mein Zeug. Es ist also nicht so, dass Ziggi ein Popstar ist in Holland. Trotzdem schafften wir es bisher mit allen drei Alben in die Top100 Charts, ohne grossen Promo-Support, nur mit der Arbeit meines Labels Rock’n’Vibes.

Deine Basis hast du ja in Holland, aufgewachsen bist du aber auf einer kleinen Insel in der Karibik. Kannst uns etwas erzählen über deine Heimat?
Nun meine Insel heisst St. Eustatius und ist sehr, sehr klein. Gerade Mal 3500 Leute leben dort, es ist wie eine kleine Stadt. Jeder kennt jeden, es ist eine sehr intime Stimmung auf St. Eustatius. Es gibt praktisch keine Kriminalität. Wenn man aus dem Haus geht, schliesst man seine Türen nicht ab wie hier in Europa. Sehr ruhig und friedlich.

Was für Musik hört man denn auf St. Eustatius? Kommen ausländische Bands überhaupt dorthin?
Wie an den meisten Orten in der Karibik hört man viel Soca, aber auch Reggae und Dancehall. Die Insel ist einfach zu klein für einen lukrativen Markt, deshalb gibt’s nur ganz, ganz selten Konzerte von ausländischen Bands und dann meist auch nur um den Konzertveranstalter einen Gefallen zu tun.

Dann hast du auch erst sehr spät dein erstes richtiges Live-Konzert gesehen.
Tatsächlich ja. Als Teenager wohnte ich für einige Zeit auf Aruba, einer anderen Insel in der Karibik. Dort sah ich Beenie Man, mein erstes richtige Livekonzert. Ich muss so um die 15 Jahre alt gewesen sein.

Hast du damals schon selbst Musik gemacht oder gesungen?
Nein überhaupt nicht. Ich bin bei meinem Grosseltern aufgewachsen und sie waren sehr, sehr religiös. Wir sind immer in die Kirche gegangen, ich habe im Kirchenchor gesungen und Drums gespielt, so bin ich mit Musik in Kontakt gekommen. Aber meine Grosseltern waren so strikt, sie hätten mir nie erlaubt Soca oder Reggae zu spielen. Für sie war das Teufelsmusik. Erst nach ein paar Jahren in Holland, habe ich mit meinen eigenen Sachen angefangen.

Waren sie denn einverstanden, dass du St. Eustatius verlassen hast und nach Holland gezogen bist?
Mmmmh ja, sie waren damit einverstanden, denn zu diesem Zeitpunkt machte ich ja noch keine Musik, sondern ging nach Holland für mein Studium. In meiner Heimat ist es normal, dass die jungen Leute weggehen, denn auf St. Eustatius gibt es gar keine weiterführenden Schulen oder Universitäten. (Anmerkung d. Redaktion: Ziggi studierte Informatik

War es einfach sich an die neue Umgebung zu gewöhnen? Inwiefern gibt es Mentalitätsunterschiede zwischen Holland und St. Eustatius?
Das Grossstadtleben war anfangs schon schwierig. Ich war mir den karibischen Way of Life gewöhnt, very slow, relaxed. Als ich nach Holland kam sah ich zum ersten Mal im meinen Leben U-Bahnen, Trams und grosse Strassen. Solche Sachen waren schon ein grosser Kulturschock, ich konnte kaum glauben was ich sah. Es war wirklich ein Abenteuer als ich nach Holland gekommen bin.

Seit Mitte April hast du dein viertes Album draussen. Inwiefern unterscheidet sich „Ziggi Recado“ von den Vorgängern?
Dieses Album ist mehr als jemals zuvor mein eigenes Ding. Meine letzte CD wurde produziert von Leuten aus Jamaika, Amerika, UK, Deutschland, wirklich von überall. Jetzt produzierte ich einen Grossteil der Songs selbst, bzw. zusammen mit meiner Band. Das neue Album macht einen Schritt vorwärts, ich versuche den Reggae-Vibe beizubehalten, aber gleichzeitig auch mit allerlei Stilen zu kombinieren. Wir haben HipHop-beinflusste Tracks drauf, Soul, Jazz sogar Pop-Rock fliesst mit ein. Ich wollte etwas Neues machen, dass mich und meinen persönlichen Musikgeschmack repräsentiert. That’s what I wanted to do. Not just another reggae-album like everybody else, something that stand out, something unique, you know?

Man hört definitiv sehr gut raus, dass du dir nicht nur Reggae anhörst.
Yeah exactly.

Früher hast du meist einfach fertige Riddims gevoict, jetzt hast du die Musik selbst produziert. Wie war es denn deinen Musiker Anweisungen zu geben?
Es hat wirklich Spass gemacht. Bisher arbeitete ich mit Produzenten zusammen, die entweder reine Reggae-Riddims oder reine HipHop-Beats machten. Ich habe aber eigene Ideen im Kopf, die ich jetzt endlich umsetzten konnte. Ich bin jetzt schon seit vielen Jahren mit meiner Band unterwegs. Das hat’s natürlich auch sehr einfach gemacht. Wir sind ein eingespieltes Team und verstehen uns sehr gut. Sie wussten genau, was ich im Kopf hatte.

 

Bevor ich Schluss mache, eine Frage bezüglich deinem Namen habe ich noch. Bis vor kurzem nanntest du dich einfach nur Ziggi, seit Mitte 2010 neu Ziggi Recado?
Es gibt einfach so viele Ziggi’s…Ziggi Marley, Ranking Ziggy. Als ich angefangen habe, änderte ich meine Schreibweise von einem „Y“ zu einem „I“ als letzter Buchstabe. Trotzdem war’s nicht immer klar: „Welchen Ziggy meinst du? Ziggy Marley, Ziggy Ranking, Ziggi von Holland?“ (lacht). Um diese Unklarheit aus der Welt zu schaffen, heisse ich jetzt „Ziggi Recado“.

Recado ist ja dein richtiger Name, aber woher kommt eigentlich „Ziggi“?
Den Namen habe ich von meinen Grosseltern, die mittlerweile verstorben sind. Schon als Baby wurde ich so gerufen und seit ich denken kann, nenne ich mich selbst Ziggi. Wieso meine Grosseltern mich Ziggi nannten, konnte ich leider nie in Erfahrung bringen.


„Ziggi Recado“ ist erschienen über Rock’n’Vibes Entertainment / VP Records und sollte in Kürze auch den Schweizer Shops erhältlich sein.
Im Sommer 2011 wird Ziggi zum vierten Mal (in 6 Jahren) am Summerjam in Köln auftreten. CH-Shows stehen derzeit keine an.

Reggae
Kill & Destroy